Zahlreiche Organisationen fordern den Bundestag auf, eine Kommission zur Rassismus-Bekämpfung einzurichten. Anlass ist der Jahrestag des NSU-Urteils.
BERLIN taz | 50 Organisationen und Einzelpersonen rufen den Bundestag anlässlich des ersten Jahrestags des Urteils im NSU-Prozess und des Mordes an dem CDU-Politiker Walter Lübcke auf, eine Enquete-Kommission zur Bekämpfung von Rassismus einzurichten. „Rassistische Strukturen und rechte Gewalt gehen uns alle etwas an“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Aufruf, der der taz vorab vorlag. „Ihre Bekämpfung ist Pflicht einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, ihre Aufarbeitung Schutzpflicht des Rechtsstaates.“
In einer Enquete-Kommission arbeiten Bundestagsabgeordnete mit externen Sachverständigen komplexe und politisch bedeutsame gesellschaftliche Entwicklungen systematisch auf und erarbeiten Empfehlungen für den Bundestag.
Dem Aufruf zugrunde liegt eine Resolution des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI) vom November 2018. Anlässlich der aktuellen rechtsextremen Vorfälle will die Organisation dieser Forderung nun Nachdruck verleihen – und hat sich Unterstützung gesichert: Unter den Erstunterzeichner*innen sind die SPD-Politikerin Gesine Schwan sowie die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, der Zentralrat der Muslime, das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus sowie zahlreiche Wissenschaftler*innen und Künstler*innen.
Die rechte Terrorgruppe NSU hatte neun Kleinunternehmer und eine Polizistin ermordet. Mit dem Fokus auf das Trio bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe statt auf weitgehende rassistische Strukturen und Netzwerke habe „der Staat sein Versprechen für eine lückenlose Aufklärung nicht eingelöst und seine selbstverständliche Aufgabe nicht erfüllt“, heißt es in der Resolution.
Endlich in den „Arbeitsmodus“ kommen
Die geforderte Enquete-Kommission müsse deswegen unter anderem „politische und gesellschaftliche Wahrnehmung von rassistischen Ideologien“ schärfen und „anhand der Fehler beim NSU-Fall wirksame Maßnahmen gegen institutionellen Rassismus“ erarbeiten.
„Die Drohbriefe des sogenannten ‚NSU 2.0‘, aufgedeckte Attentatspläne und der Mord an Dr. Lübcke zeigen uns: Zahlreiche Personen aus den Netzwerken um den NSU herum sind heute weiterhin maßgeblich aktiv“, sagte BZI-Geschäftsführerin Deniz Nergiz der taz. „Solange es uns nicht gelingt, die Netzwerke, die den NSU erst ermöglicht und ihn unterstützt haben, aufzudecken und zunichte zu machen, können und werden sie weiter aktiv sein.“
Der Autor Max Czollek sagte der taz, er sehe „erdrückende Beweise für die Verstrickung staatlicher Institutionen und Akteure in Deutschland mit rechtsradikalen Gewalttaten“. Dies habe zu einer „eklatanten Erschütterung des Vertrauens eines Teils der deutschen Bevölkerung in die staatlichen Organe geführt“. Die Aufarbeitung durch eine Enquete-Kommission sei „eine notwendige Vorarbeit für eine Wiederherstellung des Schutzversprechens des deutschen Staates für alle Bürger*innen einer pluralen Demokratie, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder politischen Einstellung.“
Auch Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, bekräftigte: „Aktuell schafft es die Politik jenseits von warmen Worten nicht, Lösungen für unser Rassismusproblem in der Gesellschaft und unseren Institutionen zu liefern.“ Es brauche endlich eine Enquete-Kommission, „damit der Bundestag zum Thema Rassismus in den Arbeitsmodus kommt, Zielmarken und Maßnahmen erarbeitet und damit auch eine bitter nötige und überfällige Diskussion über das Ausmaß von Rassismus angestoßen wird“.
Quelle: taz