Internationaler Tag der Roma am 8. April: Netzwerk diskriminierungsfreies RLP fordert unabhängige Expert:innenkommission „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Rheinland-Pfalz

Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz begrüßt, dass Deutschland mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 31. März 2021 die von der „Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA)“ formulierte Arbeitsdefinition von „Antiziganismus“ gebilligt hat. Sie soll es künftig erleichtern, die verschiedenen Facetten und Ausformungen des Antiziganismus als eine bestimmte Form von Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu erkennen, zu analysieren, anzugehen und zu überwinden.

Die Arbeitsdefinition der IHRA lautet: „Antiziganismus manifestiert sich in individuellen Äußerungen und Handlungen sowie institutionellen Politiken und Praktiken der Marginalisierung, Ausgrenzung, physischen Gewalt, Herabwürdigung von Kulturen und Lebensweisen von Sinti und Roma sowie Hassreden, die gegen Sinti und Roma sowie andere Einzelpersonen oder Gruppen gerichtet sind, die zur Zeit des Nationalsozialismus und noch heute als „Z…“ wahrgenommen, stigmatisiert oder verfolgt wurden bzw. werden. Dies führt dazu, dass Sinti und Roma als eine Gruppe vermeintlich Fremder behandelt werden, und ihnen eine Reihe negativer Stereotypen und verzerrter Darstellungen zugeordnet wird, die eine bestimmte Form des Rassismus darstellen.

Antiziganismus hat nicht erst mit der NS Zeit begonnen und hat nach der NS-Zeit nicht aufgehört zu exis-tieren. Er ist bis in die Mitte von Politik und Gesellschaft europaweit nach wie vor allgegenwärtig: „Sinti und Roma sind immer wieder Benachteiligungen ausgesetzt und werden oftmals Opfer antiziganis-tisch motivierter Straftaten – von Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und Anschlägen. Eine umfassende Dokumentation, die konsequente Benennung und politische Verurtei-lung antiziganistischer Vorkommnisse und Phänomene ist für eine Änderung der Bilder und der Haltungen in der Gesellschaft unabdingbar. Es ist dringend geboten, den Antiziganismus mit all seinen Vorurteils-strukturen als durchgreifendes gesellschaftliches Problem zu begreifen und institutionell zu bekämpfen“, sagt Jacques Delfeld Senior, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Rheinland-Pfalz. Der Verband ist eine der Mitgliedsorganisationen im Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz.

Zwei Beispiele:

·         Nach der von der Arbeitsgemeinschaft „RomnoKher“ kürzlich veröffentlichten Studie „Ungleiche Teilhabe“ besteht die Benachteiligung von Sinti und Roma im deutschen Bildungssystem unverändert fort. 40 Prozent der insgesamt über 600 befragten Erwachsenen berichten demnach von Diskriminierungen ihrer Kinder durch Lehrkräfte und Mitschüler*innen. Sie haben unmittelbar negative Auswirkungen auf das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen und mittelbar auf ihren Bildungserfolg: Mit 15 Prozent liegt die Quote von Schulabbrecher:innen ohne Abschluss bei Sinti und Roma noch immer mehr als doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt.

·         Die Zahl antiziganistischer Straf- und Gewalttaten ist in letzten Jahr nach Angaben der Bundesregierung gegenüber 2019 um über 58 Prozent angestiegen. Bundesweit wurden – bei hoher Dunkelziffer – insgesamt 128 solcher Delikte in der Kriminalstatistik erfasst; fast alle waren rechts motiviert. Für Rheinland-Pfalz verzeichnet die Bundesregierung mit insgesamt 17 einschlägiger Delikte eine besondere Häufung.

Das Netzwerk diskriminierungsfreies RLP betont, dass der Billigung der Arbeitsdefinition von „Antiziganismus“ durch das Bundeskabinett auf allen Ebenen – also auch in Rheinland-Pfalz – schnell weitere Schritte folgen müssen: „Es muss jetzt darum gehen, auf einer wissenschaftlichen Grundlage zu arbeiten, belastbare Erkenntnisse zu gewinnen und dadurch zielgerichtetes politisches und gesellschaftliches Handeln zu ermöglichen. Hierzu gehören die Erfassung antiziganistisch motivierter Straftaten, die Beobachtung von Antiziganismus in den Medien und dessen Auswirkungen auf die Einstellungen in der Bevölkerung und die Erstellung von verlässlichen und gut aufbereitetes Bildungsmaterial zum Thema Sinti und Roma für Schulen und Bildungseinrichtungen“, sagt Jacques Delfeld Senior. „Weil Antiziganismus auf vielfältige Art und Weise mit anderen Vorurteilsstrukturen und Ungleichbehandlung verwoben ist, sollte dabei ein inter-sektionaler Forschungsansatz gewählt werden.“

Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz weist auf den diesbezüglichen Handlungsbedarf hin und spricht sich für die Bildung einer unabhängigen Expert:innenkommission „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ in Rheinland-Pfalz aus. Sie soll sich künftig wissenschaftlich mit allen Dimensionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befassen und der Landesregierung in einem regelmäßigen Bericht konkrete Handlungsempfehlungen zu deren Überwindung an die Hand geben.

Mit der Initiative zur Einrichtung einer solchen unabhängigen Expert:innenkommission in der nächsten Legislaturperiode ist das Netzwerk an die drei Parteien herangetreten, die derzeit über die Bildung einer Landesregierung verhandelnden. Ebenso mahnt das Netzwerk bei ihnen die Vereinbarung eines Landesgleichbehandlungsgesetzes an, das allen Rheinland-Pfälzer:innen Schutz vor Diskriminierung in denjenigen Bereichen garantiert, die der ausschließlichen Regelungskompetenz der Länder unterfallen.

gez.

•             Torsten Jäger (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Nadya Konrad (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Joachim Schulte (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

•             Stephan Heym (Mitglied der Koordinierungsgruppe)

Hintergrund: Das Netzwerk diskriminierungsfreies Rheinland-Pfalz ist ein Zusammenschluss von rheinland-pfälzischen Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Initiativen, die sich als Interessensvertretung von Betroffenengruppen in der Antidiskriminierungsarbeit engagieren. Ihn gehören die Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration RLP (AGARP), der Humanistische Verband Deutschlands-Landesverband RLP/Saarland, der Initiativausschuss für Migrati-onspolitik in RLP, die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter RLP, der Landesfrauenbeirat RLP, der Landesju-gendring RLP, die Landesseniorenvertretung RLP, der Landesverband jüdischer Gemeinden RLP, das Netzwerk Gleichstel-lung und Selbstbestimmung in RLP, QueerNet RLP, der Verband Deutscher Sinti und Roma VDSR – Landesverband RLP und das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL Mainz) an.